(an meine Mutter)
Du warst fort und
abends hob sich der Mond.
Morgens ging die Sonne auf und
die Kirschen blühten wie nie zuvor.
Du bist fort und
alles, was Du liebtest, ist geblieben.
Das Wunder, das Du jetzt erlebst,
können wir nicht einmal erahnen.
Und hier wird weiter musiziert und es wird weiter getanzt und wir müssen weiter Geschichten erzählen und wir retten uns weiter gegenseitig vor dem Nichts und wir geben was wir geben können weiter und hören nicht auf uns zu verschenken und wir werden weiter im Regen unter Kastanien sitzen und wir werden weiter die schönsten Farben sehen jeden Tag und dafür müssen wir nicht einmal Drogen nehmen und wir werden weiter lachen und weinen und wir werden weiter genießen und begeistert sein und wir werden weiter spinnen und verrückt sein und wir werden weiter zum Ideal hin streben und wissen dass das unerreichbar ist und wir werden weiter vertrauen und enttäuscht sein und wieder vertrauen und wir werden nicht aufgeben und weitermachen und scheitern und wieder weitermachen und alles blüht und gedeiht.
Und dann kommt ein großer Regen und die rosa Blätter liegen auf der Wiese, auf dem Asphalt, bald zersetzt, zermahlen von Schuhen und Reifen.
Und wenn die Kirschen dann wieder blühen in einem Jahr, denk' ich an die Zeit, als Du gegangen bist und wie das so war.
Und vielleicht zünde ich mir dann, einmal im Jahr, ganz alleine, an einem schönen Ort, Dir zu Ehren eine Zigarette an und stelle mir vor, Du wärst da und wir redeten gemeinsam Unsinn. Und dann warte ich darauf, dass mir übel wird, weil ich Zigaretten nicht gewöhnt bin.
(© Oliver Kai A. Knütter)